Von Charakteren und Klischees
Willkommen im Dunklen Tu… ähm, ich meine, in der Werkstatt!
In der Werkstatt schreibe ich in Zukunft kürzere und längere Artikel über das Handwerk des Schreibens. Nein, ich werde hier jetzt keinen langweiligen Artikel über Prämissen, Konzeptskizzen und Charakterbiographien schreiben! Ich werde heute auch nicht über Steampunk oder andere Genres berichten, sondern einfach nur etwas plaudern. Dieses Mal geht es um Charaktere.
Manchmal finde ich es traurig, dass gewisse Geschichten Werbung damit machen müssen, sie hätten „interessante Charaktere“. Sollte nicht jeder Charakter in einer Geschichte interessant sein? Oder sind wir wirklich so weit, das sich nichts Interessantes oder Einzigartiges mehr schreiben lässt? Nun, einzigartige Charaktere lassen sich wahrscheinlich nicht mehr erstellen, dazu wurden bereits viel zu viele Bücher geschrieben. Aber interessante Charaktere lassen sich nach wie vor erstellen, genauso wie glaubwürdige oder intelligente.
Ich bin im Moment an einem Punkt angekommen, wo sich in meinem Steampunk-Universum die Geschichten praktisch von selbst schreiben. Warum? Ich lasse die Charaktere die Geschichte erzählen! Wer hat sich noch nie darüber genervt, wenn ein Charakter in einem Buch oder einem Film etwas unglaublich Dummes tut? Natürlich muss man sich in einer solchen Situation fragen, ob man selbst anders gehandelt hätte, und warum. Noch wichtiger ist allerdings die Frage, ob der entsprechende Charakter wirklich sowas machen würde!
Nehmen wir als Beispiel den durchschnittlichen Horrorfilm. Das Klischee, dass die Heldin mit einer Taschenlampe oder gar einer Kerze in den Keller geht, um dort die Quelle eines unheimlichen Geräuschs zu finden, ist so alt wie der Horrorfilm selbst. Ist es intelligent? Nein. Würde der Charakter wirklich so etwas machen? In den meisten Fällen nicht. Wenn nun aber die Person ein Soldat, ein Polizist oder sonstwie ausgebildeter Kämpfer ist, dann würde ich ihm das durchaus zutrauen und die Geschichte ergibt Sinn, auch wenn ich das nicht tun würde! So viel zu glaubwürdigen und intelligenten Charakteren.
Was ist nun mit den interessanten Charakteren? Interessant ist eigentlich alles, solange es nicht gewöhnlich und schwächlich ist (es sei denn, man will den Übergang von Zero to Hero darstellen). Oft ist es aber schwer, sich immer wieder neue, unterschiedliche Charaktertypen auszudenken, ohne nicht ständig Ideen zu recyceln. Selbst Größen der Literatur wie Stephen King machen leider zu oft diesen Fehler. Das ist sicher auch ein Grund, warum heutzutage viele Autoren lieber Serien statt Einzelromane schreiben. Wenn man einen Hauptcharakter immer wieder verwenden kann, ist der Wiedererkennungswert höher und der Leser fühlt sich fast sofort zu Hause.
Interessante Charaktere müssen vor allem lebendig und nachvollziehbar sein. Oft ertappe ich mich dabei, dass ich denke: Was würde der Charakter jetzt tun? Meist ergibt sich die Antwort von selbst, und ich kann die Geschichte weiterschreiben. Natürlich führt das ab und zu dazu, dass ein Charakter nicht das tut, was ich eigentlich wollte. Das ist dann aber meist kein Fehler im Charakterdesign, sondern eher in der Story. Da ich mich nicht sklavisch an einen Storybogen halte und gerne dazu bereit bin, Details umzuändern oder Handlungsstränge neu zu verlegen, ist das für mich auch kein Problem. Für mich ist Schreiben etwa 90% Planung und 10% Improvisation, manchmal auch etwas mehr. Mancher Experte im Kreativen Schreiben wird jetzt vielleicht die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und ausrufen, dass ich ein totaler Amateur sei und so nicht schreiben könne oder dürfe. Dazu sage ich nur eins: ja, vielleicht. Aber vielleicht gibt es keine „richtige“ und keine „falsche“ Art zu schreiben. Viele Wege führen nach Rom, oder in diesem Fall zu einem fertigen Buch.
Meine Charaktere sind für mich fast wie meine Kinder. Auch wenn ich sie grundlegend kenne, verhalten sie sich nicht immer so, wie ich es möchte. Wenn ich dann aber darüber nachdenke, haben sie sich genauso verhalten, wie ich es hatte erwarten können. Auch wenn ihre Entscheidungen für mich manchmal dumm erscheinen, so muss ich sie akzeptieren. Sie sind so, wie ich sie erschaffen habe, ob ich es will oder nicht!
(Ursprünglich veröffentlicht am 1. November 2013)